Endlich ist es Juni, und es ist Zeit in die Französischen Alpen zurückzukehren für ein Wiedersehen mit den reizenden kleinen Sperlingskäuzen. Im Gegensatz zu unserem Besuch bei ihnen im letzten Herbst, wo wir die balzenden Männchen Dank ihres Gesangs orten konnten, hoffen wir dieses Mal auch Jungvögel zu sehen. Um die Brutphase und das Gedeihen der Nestlinge in der Bruthöhle nicht zu stören beginnen die Besuche grundsätzlich erst nach dem Ausfliegen der Jungvögel. Sie zu finden ist nicht unbedingt sicher, denn die Daten der Workshops werden schon lange im Vorraus festgelegt, und der Zeitpunkt an dem die Jungen das Nest verlassen kann, von den Witterungsbedingungen abhängig, stark von einem Jahr zum anderen variieren.
ERSTER TAG
Wie gewohnt geht es am ersten Morgen früh los, ich freue mich Stéphanie, David und Marco wiederzusehen. Ein paar Erklärungen und Ratschläge für die Neulinge und schon geht’s los in den Wald. Alle haben es eilig die kleinen Käuze zu treffen.
Heute sind wir in dem Revier von einem Brutpaar dessen Junge vor 3 Tagen das Nest verlassen haben. Nach dem Ausflug entfernen sie sich nach und nach von der Bruthöhle, werden aber noch ein paar Wochen von den Eltern versorgt bevor sie sich ganz verstreuen. Am besten kann man die Jungen in den ersten Tagen nach dem Ausflug beobachten, danach wird es von Tag zu Tag schwieriger sie wiederzufinden, denn sie sitzen immer höher in den Bäumen und verstreuen sich immer mehr. Um diese Jahreszeit sind die Käuze sehr tagaktif, ein wahrer Segen für den Fotografen. Die Eltern verbringen einen Grossteil des Tages Kleinsäuger und Vögel zu jagen um die hungrigen kleinen Schnäbel zu füttern.
Wir finden einen ersten Jungvogel in einer Lärche sitzend, mit seinen unermüdlichen Bettelrufen war er schwer zu übersehen. Anfänglich beobachtet er uns neugierig mit grossen Augen, aber er verliert schnell das Interesse an uns, schliesslich hat er Hunger !
Wir folgen Marco und David die schon etwas vorgegangen sind um die anderen Jungvögel zu orten. Ein Altvogel fliegt an uns vorbei, ohne Beute. Er bleibt einige Minuten auf einem Ast sitzen ohne uns auch nur die geringste Aufmerksamkeit zu schenken. Das ist ein weiterer Grund warum der kleine Kobold so liebenswert ist, im Gegensatz zu anderen Eulen und Käuzen hat er vor Menschen sehr wenig Scheu. Selbstverständlich erwidern wir sein Vertrauen mit dem sich gebührigen Respekt!
Fünfzig Meter weiter unten am Hang finden wir 2 andere Ästlinge die nebeneinander in einer Kiefer sitzen. Das Gegenlicht erschwert uns die Fotos, aber wir sind begeistert die beiden aus der Nähe sehen zu können. Sie beobachten uns mit weit aufgerissenen Augen, neugierig, aber sichtbar ohne Angst. Sie drehen die Köpfe nach allen Seiten. Unter ihren ernsten Blicken machen wir ein paar Fotos. Dann dürfen wir zusehen wie sich die Nestgeschwister putzen, sich aneinanerkuscheln, ein wenig schlafen, oder bettelnd nach ihrer nächsten Mahlzeit rufen.
Insgesammt zählen wir 5 Jungvögel in der Umgebung. Sie erwarten mehr oder weniger ungeduldig die Rückkehr der Eltern.
Offensichtlich hatten die Altvögel wenig Erfolg bei der Jagd heute morgen, wir sehen sie vorbeifliegen, oder auf ihrem Ansitz oben auf einem Wipfeltrieb, aber immer ohne Beute.
Erst am Nachmittag scheinen sie mehr Glück zu haben, jetzt bringen die Altvögel eine Beute nach der anderen und wir haben das Privileg beim Füttern zuschauen zu dürfen. Ich glaube wir sind nicht weniger aufgeregt als die Ästlinge jedes Mal wenn wir die Eltern mit einer Maus oder einem Vogel anfliegen sehen.
Nach einem guten Essen wird der unverdauliche Rest in Form von Gewölle herausgewürgt!
Gegen Ende des Tages haben auch wir langsam Hunger. In der Herberge wartet ein gutes Abendessen auf uns und wir müssen die kleinen Käuze leider für heute verlassen.
Nach einem geselligem Abend mit einem guten Eintopf, schlafe ich schnell ein, aber die Bettelrufe der kleinen Käuze folgen mir bis in die Träume.
ZWEITER TAG
Eigentlich hätten wir heute in ein Revier von einem anderen Brutpaar fahren sollen, aber nach dem erfolgreichen Tag gestern beschließen wir zu den Jungen von gestern zurückzukehren. 2 der Kleinen warten schon auf uns, sie sind fast noch am gleichen Platz wie am Vorabend. Ein Altvogel setzt sich unweit von uns auf einen Ast. Sein Schnabel hat Blutspuren, ich fürchte wir haben das Frühstück der Ästlinge verpasst!
Nach und nach finden wir auch die Geschwister in den Bäumen der Umgebung verteilt. Sie sind immer noch genauso lautstark und lassen regelmässig ihre Bettelrufe hören. Heute morgen reiht sich eine Fütterung an die nächste. Die Eltern haben keine Zeit für eine Pause, unermüdlich bringen sie abwechselnd Mäuse und Kleinvögel. Wir sind bestens plaziert um diese wunderbaren Augenblicke zu geniessen.
Zwischen den Fütterungen unterhalten uns die Ästlinge mit ihren Putzritualen und ihren lustigen Mimiken. Man spürt dass sie schnell erwachsen werden, am Ende des Nachmittags sind sie schon viel weiter verstreut und etwa 100 Meter weiter den Hang hinuntergewandert. Ausserdem fliegen sie immer höher in die Bäume. Uns wird klar was für ein riesiges Glück wir hatten im richtigen Augenblick da zu sein. Ab morgen wird es wesentlich schwerer sein sie ganz oben in den Bäumen wiederzufinden.
Der Tag vergeht schnell, zu schnell. Einige treten noch heute Abend die Heimreise an, wir müssen los, obwohl wir eigentlich noch keine Lust haben jetzt schon zu gehen. Wieder einmal haben wir den Kopf voller Bilder und die Speicherkarten sind reich gefüllt. Auch wenn ich bei Stéphanie, David und Marco nicht die geringsten Zweifel hatte die kleinen Käuze zu sehen, haben diese 2 Tage meine Erwartungen weit übertroffen. Nie hätte ich gewagt zu träumen die kleinen Kobolde so nahe zu sehen und so viele Szenen aus ihrem intimsten Familienleben beobachten zu dürfen.