Seit nunmehr fünf Jahren nehme ich schon an dem vom französischen Vogelschutzbund organisierten Programm für die Zählung der nächtlichen Greifvögel teil. Dabei habe ich viele unvergeßliche Begegnungen mit Waldkäuzen, Schleiereulen und gelegentlich einem Steinkauz erlebt, aber noch nie einen Sperlingskauz gesehen. Den gibt es in der Creuse nicht, oder sollte ich lieber sagen noch nicht?
Die kleinste Eule Mitteleuropas
Der Sperlingskauz ist die kleinste der in Mitteleuropa vorkommenden Eulen. Ich finde seine Gesichtsausdrücke und Mimiken besonders ausdrucks- und eindrucksvoll. Er ähnelt seinem großen Verwandten, dem Steinkauz, ist aber noch kleiner. Bei einer Körperlänge von 16-18cm und einer Flügelspannweite von 34-36 cm ist er etwa so groß wie ein Star, aber er besitzt einen gedrungeneren Körperbau. Trotz seiner kleinen Größe und seiner eher putzigen Erscheinung ist er ein von Kleinvögeln und Mäusen gefürchteter Jäger. Auch wenn er hauptsächlich in den Dämmerstunden aktiv ist, zählt der Sperlingskauz zu den eher tagaktiven Eulenarten, besonders während der Paarungs- und Brutzeit. Er ernährt sich größtenteils von Kleinsäugern und verschiedenen Kleinvögeln, die mit ihren Warnrufen oft seine Anwesenheit verraten.
Aufgrund seiner Größe, aber auch seinen Tarnkleid bleibt der kleine Kauz oft lange Jahre unentdeckt. Er bevorzugt alte und naturbelassene Wälder mit einem hohen Alt-und Totholzbestand, die ihm in der Form von alten Spechthöhlen geeignete Brutstätten bieten. In Frankreich ist er in den Alpen, dem Jura und den Vogesen als Brutvogel vertreten. Kürzlich wurde er sogar im Puy de Dôme und dem Massif Central gesichtet, aber bis jetzt liegen für die Creuse keine Daten vor.
Im August letzten Jahres habe ich entdeckt, daß Stéphanie und David Allemand einen zweitägigen Fotoworkshop zur Fotografie des Sperlingskauzes anbieten. Also habe mich gleich geschickt den letzten Platz für Juni 2019 zu reservieren, auch wenn das Warten bis dahin noch lang war!
Als dann unerwarteterweise ein Platz bei ihrem Herbstbalz– Workshop im November frei geworden ist habe ich sofort zugeschlagen. Und schon ging es los in die französischen Alpen.
Unsere Gruppe besteht aus 6 Teilnehmern, und ich merke schnell daß die fünf anderen alle langjährige Freunde sind. Sie kommen aus dem Elsaß und müssen lachen als sie erfahren daß ich in der Creuse wohne.
Erste Begegnung mit dem kleinen Kauz
Am nächsten morgen brechen wir früh auf. Um diese Jahreszeit durchstreifen die Männchen regelmäßig ihr Revier um es gegen eventuelle Eindringlinge oder Konkurrenten zu verteidigen. Dabei geben sie Balzrufe von sich, die uns die Suche nach ihnen erleichtert. Aber obwohl Marco, unser Vogelexperte vor Ort, schon einiges an Vorarbeit geleistet hat um unsere Suchgebiete einzugrenzen, kommt unser Vorhaben der Suche einer Stecknadel in einem Heuhaufen gleich. Leider haben wir kein Glück mit dem Wetter, über unseren Köpfen werden die Wolken immer schwärzer. Während Marco und David den lichten Lärchenwald um uns herum nach einem Sperlingskauz absuchen, warten wir am Wegrand und bewundern die wunderbaren Farben der Lärchen im Herbstkleid.
Ich bin überrascht denn der Winzling läßt uns nicht lange warten. Neugierig und wenig scheu fliegt er in unsere Nähe um zu schauen was wir in seinem Revier machen. Wir versuchen ihm zu folgen, aber bei dem Gewicht unserer Ausrüstungen ist das keine leichte Sache.
Die Hänge sind steil, mit viel Unterholz und mit 5 – 6 Kilo auf der Schulter gebe ich nach kurzer Zeit auf das Statif mit mir herumzuschleppen, es ist viel zu sperrig und schwer für dieses Unterfangen. Die anderen sind noch schwerer beladen als ich. Dabei muß man schnell reagieren wenn man den kleinen Kobold auf einem Foto erwischen will, denn sobald er uns als ungefährlich und uninteressant eingestuft hat, geht er wieder seinen eigenen Beschäftigungen nach und kümmert sich wenig um die unbeholfenen Zweibeiner die es schwer haben ihm zu Fuß zu folgen. Ihn zu beobachten hält fit!
Nach einem stärkenden Picknick im Regen versuchen wir unser Glück auf einem anderen Weg mit Blick auf ein herbstlich buntes Tal. Und das Glück wartet auch schon auf uns. Wir entdecken ein anderes Männchen in den Lärchen das trotz Regen fleißig seinen Reviergesang hören läßt. Die Herbstfarben rund herum leuchten aber die dunklen Wolken rauben uns viel Licht. Unsere Fotos haben wir uns am Ende des Tages schwer verdient, denn unser Balzsänger wechselt regelmäßig seinen Ansitz und ich weiß gar nicht wieviele Kilometer wir bei dem hinauf-und hinunterklettern der Steilhänge abgelaufen haben. Sicher ist nur daß wir am Abend alle erschöpft sind, dabei haben wir keinen Grund zu jammern, David und Marco sind mindestens doppelt soviel gelaufen wie wir. Alle sind von unserem ersten Tag begeistert. Ich befürchte zwar ein starkes Bildrauschen bei meinen Fotos, denn aufgrund der schlechten Lichtverhältnisse blieb mir nichts anderes übrig als die ISO-Einstellung zu erhöhen, aber das macht nichts. Es war schon ein wahnsinniges Erlebnis den kleinen Kauz überhaupt so gut beobachten zu können.
Am Abend essen wir alle zusammen in unserer Ferienwohnung, Marcos Frau Valérie hat uns ein leckeres Abendessen vorbereitet das wir nach all den Anstrengungen des Tages auch sehr zu schätzen wissen. Wir sind schwer verwöhnt !
Zweiter Tag:
Das Wetter hat sich leider nicht im geringsten gebessert, aber es bleibt uns nichts anderes übrig, dann suchen wir die kleinen Käuze eben wieder im Regen. Heute regnet es sogar noch heftiger und ich schwöre mir daß meine nächste Anschaffung ein großer Regenschirm sein wird. Glücklicherweise ist Stéphanie solidarisch genug mir unter ihrem Schirm ein wenig Platz zu machen. Diesmal sind wir in einem sehr alten Tannenwald dessen moosbedeckter Boden den Laut unserer Schritte schluckt. Überall hängen lange blaß-graugrüne Flechten, als ob die Bäume Bärte hätten. Ein Zauberwald in dem nur noch die Hauptdarsteller fehlen. Marcos Erkundungsstreifzüge der letzten Wochen erweisen sich wieder einmal als sehr hilfreich. Innerhalb einer Stunde stoßen wir auf ein balzendes Männchen. Der Regen scheint ihn in keinster Weise zu stören, munter flötet er weiter. Von unter unseren Regenschirmen heraus versuchen wir ihn zu fotografieren, aber er sitzt hoch und unsere Kameras mögen den Regen ganz und gar nicht. Außerdem fehlt es wieder einmal an Licht. Es ist schon Vormittag, aber der Himmel ist immer noch dunkelgrau. Nach einer Weile beschließt unser kleiner Kobold seine Strophen an einem anderen Ort fortzusetzen und wir verlieren ihn aus dem Auge.
Marco führt uns zu einer kleinen Hütte wo wir uns und unsere Ausrüstungen ein wenig unterstellen können. Um uns herum leuchten die Lärchen in den schönsten Herbstfarben, wenn nur der kleine Kauz da wäre ! Aber diesmal läßt er uns vergeblich warten. Nach dieser kleinen Pause machen wir uns auf den Rückweg zu den Autos. Unterwegs entdecken wir einen neuen Sänger, er sitzt auf der Tannespitze unterhalb des Wegs und balzt aus vollem Hals.
Er beachtet uns nicht im geringsten. Für meine 400mm ist er zwar ein wenig weit weg, aber für Stimmungsfotos ist er gut plaziert. Der Regen hat endlich aufgehört. Nach einer Stunde ohne Antwort beschließt unser Kauz an einen anderen Ort weiterzuziehen.
Für uns ist es Zeit für das leckere Picknick das Valérie uns mitgegeben hat.
Am Nachmittag fahren wir in ein anderes Tal, die Wolkendecke reist endlich auf und wir feuen uns über die langersehnten Sonnenstrahlen. Die Herbstfarben der Lärchen leuchten und glitzern in der Sonne, im Hintergrund verharren die letzten schwarzen Wolken, ein märchenhaftes Licht umgibt uns. Und da ist auch schon unser Sperlingskauz. Diesmal ist er ganz nah und wir sehen ihn bestens. Eine Stunde lang läßt er sich geduldig von allen Seiten fotografieren, manchmal wirft er uns einen neugierigen Blick zu, aber die meiste Zeit ignoriert er uns völlig. Ich frage mich was er wohl von uns gedacht haben muß!
Nach einer Stunde erscheint plötzlich ein zweiter Kauz. Das Weibchen! Was für ein wahnsinniges Glück gleich beide zu sehen! Aber nachdem auch verpaarte Sperlingskäuze kontaktscheu sind, halten die beiden Distanz und wollen nicht Seite an Seite für uns posieren. Insgesammt verbringen wir ganze zwei Stunden in ihrer Gesellschaft, besser hätten wir es gar nicht treffen können.
Erst beim Vergrößern der Fotos auf dem Bildschirm daheim fällt mir auf daß uns ein Detail entgangen ist : Bei den beiden war eine Beute im Spiel….
Langsam bricht die Nacht herein, ein paar letzte Fotos der im Abendlicht glühenden Berge und wir machen uns auf den Rückweg. Stephanie und David müssen sich noch heute auf ihren 2-3 stündigen Heimweg machen.
Das Wochenende ist vorüber, aber mein Kopf ist voller Bilder der Käuze und meine Speicherkarten sind ebenfalls reich gefüllt. Das Sortieren wird eine Weile dauern!